Mit „Miststück“ wurde sie zum eigenständigen Wesen


PRESSECLUB Der Wissenschaftsjournalist Alexander Wendt stellt sein Buch über den Umgang mit Depressionen vor

WIESBADEN. So kann man mit einer Depression auch umgehen: Man kann sie beschimpfen: „Du Miststück“ – um sie so zu einem „eigenständigen Wesen“ machen. Das erklärte Reinhard Schlieker, Moderator der jüngsten Presseclubveranstaltung. Schlieker hatte Alexander Wendt zu Gast, Redakteur bei einem Nachrichtenmagazin.

Sich selbst in die Psychiatrie eingewiesen

Wendt schilderte, wie er sich wegen einer hartnäckigen Depression selbst in die Psychiatrie einwies. „Ich habe gründlich überlegt, ob ich das mache“, so Wendt, der 1999 seine erste depressive Phase erlebte. Da war er Anfang 30. Lange hat er versucht „das Biest zu erziehen“. Er bekämpfte die ersten Schübe seiner Krankheit mit Arbeit und Alkohol, wie das seiner Meinung nach viele tun.

Anfang 2014 präsentierte er sich in der Psychiatrie der Uniklinik in München. Als Wissenschaftsjournalist beschloss er, seine Kämpfe gegen die Krankheit aufzuschreiben. Er sagt, das half ihm in Phasen, in denen er mal wieder „im Keller“ war und sich kaum vorstellen konnte, wie er jemals aus diesem Tief wieder herauskommt. Er bemüht das Bild vom Durchkentern eines Schiffs: „Wenn man unter Wasser ist und das Deck über einem, lässt sich nicht denken, wie man aus der Situation wieder herauskommt.“

Depressionen, die der Behandlung bedürfen, kommen häufiger vor als man glaubt, so der Wissenschaftsjournalist. Er meint, dass annähernd jeder fünfte Bundesdeutsche ein Mal in seinem Leben mit der Krankheit in Berührung kommt. Das „Biest oder Miststück“ gerät allerdings selten in die Schlagzeilen. Es sei denn, ein Prominenter wie Torwart Robert Enke nimmt sich das Leben. Eine breite Öffentlichkeit erfuhr: Enke hatte jahrelang unter schweren Depressionen gelitten und seine psychische Krankheit verschwiegen.

Noch einmal ganz anders diskutiert wurde der Fall des Germanwings-Piloten Andreas Lubitz, der schon während seiner Ausbildung depressiv geworden sein soll. „Alles spricht dafür“, so Wendt, „dass der Lubitz nicht nur depressiv war, sondern auch extrem viele Medikamente ,durcheinander' konsumiert hat.“ Alle Schilderungen – etwa in Tagebuchaufzeichnungen – belegten für Depressive untypische Symptome. Wendt: „Ich halte die Diskussion für kontraproduktiv, die nach dem herbeigeführten Absturz der Maschine aufkam. Etwa die Forderung, die ärztliche Schweigepflicht zu lockern.“ Damit der Arzt in solchen Fällen den Arbeitgeber informiert. Wenn man dies wirklich täte, so Wendt, würde man nur erreichen, dass die durch Depression Gefährdeten sich keine Hilfe holen.

Der Wissenschaftsjournalist, der das Buch „Du Miststück. Meine Depression und ich“ geschrieben hat, möchte aufklären, wie man die Krankheit bekämpft. Er schreibt über die Geschichte der Depression, über gängige Therapien. Das macht er in einem oft ironischen Ton, jedes Selbstmitleid liegt ihm fern. Er glaubt nicht, dass irgendwem mit psychologischer Nabelschau gedient ist. Depressionen sind, aus seiner Kenntnis heute, ein „hirnchemisches Schicksal“. Weder der Betroffenen noch das Umfeld trage eine irgendwie geartete Mitschuld.

Wiesbadener Kurier, 21.09.2016

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