Von wegen Ruhestand


PRESSECLUB Theatermann Bernd Fülle im Gespräch über Flucht, Familie und Finanzen

WIESBADEN. Eigentlich könnte er sich entspannt zurücklehnen und zuschauen, wie die Rosen wachsen. "Das ist sehr kontemplativ", sagt Bernd Fülle. Das einzige Fremdwort, das man an diesem Abend im Presseclub von ihm hört. Denn Bernd Fülle spricht Klartext. Über seine Flucht aus der ehemaligen DDR ("ich bin in einer stramm sozialistischen Familie aufgewachsen"), über seine Karriere danach an deutschen Bühnen, über die Finanzierung von Theaterarbeit heute. "Der Kaufmann von Venedig und das liebe Geld: Auch Kunst braucht Kohle" lautet schließlich das Thema, zu dem Corinna Freudig den geschäftsführenden Direktor des Staatstheaters befragt. Ein Thema, zu dem er offen, kenntnisreich und sehr unterhaltsam Auskunft gibt.

"Laufenberg ist eigentlich zu gut für Wiesbaden"

Vielleicht auch deshalb, weil der mit einer Bühnenbildnerin verheiratete Barock-Fan nach 40 Jahren an diversen Theatern eigentlich schon mit seinem Berufsleben abgeschlossen hatte. Bis Uwe Eric Laufenberg ihn nach Wiesbaden holte.

Beide hatten früher in Köln zusammengearbeitet. Fülle sagt über den Intendanten des Staatstheaters unverblümt: "Er ist eigentlich zu gut für Wiesbaden." Das meint er nicht despektierlich. Aber: "Wer in Bayreuth und an der Wiener Staatsoper inszeniert, der ist auch im Gespräch, wenn Intendanzen an großen Häusern vakant sind." Laufenberg war für den heute 67-Jährigen also Argument genug, vor einem Jahr als zweite Spitze des 600-Mitarbeiter-Hauses in Wiesbaden anzutreten - nachdem er zuvor an den Städtischen Bühnen Frankfurt schon in den Ruhestand verabschiedet worden war.

Seit 2002 war er geschäftsführender Direktor in Frankfurt, vorher Direktor und stellvertretender Generalintendant in Köln. In den 80er Jahren leitete er die Verwaltung der Bonner Bühnen. Seine Karriere startete der 1949 in Weimar geborene Theatermann 1976 als Verwaltungsleiter der Freien Volksbühne in Berlin - im Alter von erst 27 Jahren, "das war reine Hochstapelei".

Erst ein Jahr zuvor war er über die Mauer geklettert, "mit Rohren 3,40 Meter hoch". Was hat ihn dazu bewogen, will Corinna Freudig wissen. Wohl auch die 18 Monate Wehrdienst an der Grenze, "als einziger ohne Parteibuch". Zunehmend entdeckte der studierte Volkswirt, der bereits für vier Staatstheater im Osten zuständig war, die Widersprüche des Systems. Zweimal wurde versucht, den Spross einer "Familie, die einfach dazugehörte", für die Stasi anzuwerben. Immer konnte er sich herausreden. Aber irgendwann war klar: Wie lange noch?

Im Westen entdeckte er einen "Zustand der Sorglosigkeit", bei dem Geld keine Rolle spielte. In seiner Bonner Zeit verfügte das Theater über einen Etat von 100 Millionen DM. Der Absturz kam in Köln: Dort sollten den Bühnen nach einem Jahr 10 Millionen weniger zur Verfügung stehen - und in den nächsten vier Jahren 50 Millionen eingespart werden. 30 schaffte er, alles weitere wäre an die Substanz gegangen. "Theaterbetriebe sind Zuschussbetriebe", macht Fülle deutlich. Und zieht jede Menge Zahlen aus dem Ärmel: Rund 41 Millionen Euro umfasst der Etat in Wiesbaden, 75 bis 80 Prozent davon sind Personalkosten. Allein an einem Opernabend sind 200 Mitarbeiter beteiligt. Es sei aber keine Lösung, weniger zu spielen: "Viele Theaterbesucher kommen durch Mund-zu-Mund-Propaganda - wenn es weniger Aufführungen gibt, fallen Multiplikatoren weg." Lieber hinter den Kulissen sparen, das ist sein Credo.

In den bisher drei Jahren von Intendant Laufenberg sei es gelungen, die Einnahmen von 5,2 Millionen Euro auf 5,7 Millionen zu erhöhen. Dazu trage auch bei, Premieren von samstags auf donnerstags zu verlegen - so können die zuschauerstarken Wochenendtage frei verkauft werden. Er wundere sich allerdings, dass die Wirtschaft nicht mitzieht und Pakete mit Übernachtungen anbietet.

Für 74 Prozent der Einheimischen sei laut einer Untersuchung Kultur wichtig und sehr wichtig: "Da ist schon die Option, ins Theater gehen zu können, ein Faktor der Lebensqualität." Er selbst versuche, jede der 45 Premieren ("eigentlich zu viele") der Spielzeit zu sehen.

Bis mindestens 2019 wird Bernd Fülle dem Staatstheater noch erhalten bleiben. Die Rosen müssen also noch warten.

Wiesbadener Kurier, 02.11.2016

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