In puncto Pressefreiheit fällt Deutschland auf Rang 16 zurück


PRESSECLUB Christian Mihr spricht über "Reporter ohne Grenzen"

WIESBADEN. Eine regierungskritische Journalistin aus Aserbaidschan steht unter der Obhut von "Reporter ohne Grenzen" (ROG). Während ihrer Haft hat die Organisation, die sich für Pressefreiheit und gegen Zensur einsetzt, die Familie mit Geld unterstützt, auch damit die Angehörigen einen Anwalt bezahlen konnten. Außerdem alarmierte ROG die Öffentlichkeit, um Druck auf die Machthabenden auszuüben.

Fälle wie diese mehren sich. In vielen Ländern werden Gesetze verabschiedet, mit denen Journalisten wegen vermeintlicher Präsidentenbeleidigung, Gotteslästerung oder Unterstützung terroristischer Gruppen ins Gefängnis gebracht werden können.

Anfeindungen gegen Journalisten nehmen zu

"Die Pressefreiheit ist weltweit in Gefahr", sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, der im Presseclub die ursprünglich 1985 in Frankreich gegründete Organisation vorstellt. Recherchieren, anklagen, unterstützen - so lasse sich die Arbeit von der Organisation ROG zusammenfassen, die sich ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert. "Wir legen uns mit vielen Mächtigen dieser Welt an", sagt Mihr, der als Journalist in der Welt herumkam, ehe er 2012 ROG-Geschäftsführer in der Berliner Sektion wurde.

In Kriegsgebieten haben allzu viele Journalisten ihr Leben verloren. Am meisten gefährdet sind Fotoreporter, die an der Front agieren, stellt die ROG fest. Unabhängige Berichterstattung werde zunehmend durch religiös eingefärbte Ideologien, autokratische Tendenzen oder repressive Sicherheitsgesetze verhindert, so Mihr. Propaganda und Zensur gewönnen in vielen Krisengebieten die Oberhand. Mihr beklagt die "abnehmende Vielfalt" der Medien. "Um verschiedene Sichtweisen auf einen Konflikt oder auf gewaltsame Auseinandersetzungen zu bekommen, sind unterschiedliche Medien mit unterschiedlichen politischen Richtungen nötig." In einer jährlich veröffentlichten Rangliste bewertet die Organisation die Lage der Journalisten in mehr als 180 Staaten. Lag Deutschland in puncto Pressefreiheit im vergangenen Jahr auf Platz 12 und damit im oberen Mittelfeld der EU-Staaten, so ist die Bundesrepublik auf Rang 16 zurückgefallen. Dies habe, wie Mihr festhält, seinen Grund in der Zunahme von Anfeindungen gegen Journalisten (bis hin zu Todesdrohungen) und gewalttätigen Übergriffen in manchen Bundesländern. In Dresden und anderswo skandieren Protestierende Parolen wie "Lügenpresse" und "Volksverräter" - wie sie bisher nur bei Aufmärschen der Rechtsextremen zu hören waren.

Aber auch die "ausufernde Überwachung" durch den Bundesnachrichtendienst werde zum Problem. Diese Kontroll-Versuche träfen nicht nur ausländische, sondern auch deutsche Journalisten. Noch einen anderen Aspekt erwähnt Mihr. Die Organisation stellt fest, dass im Internet und in manchen Printmedien Werbung oft nur schwer von redaktionell erarbeiteten Artikeln zu unterscheiden sei.

Für die Arbeit der deutschen Sektion von "Reporter ohne Grenzen" überreichte Stefan Schröder, Presseclub-Chef, Moderator und Chefredakteur dieser Zeitung, im Namen des Vorstands einen 2000-Euro-Scheck. Schröder: "Dies ist auch ein Kompliment für die Transparenz und Effizienz der Arbeit von ,Reporter ohne Grenzen'."

Wiesbadener Kurier, 05.10.2016

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