Die häufigsten Mythen der russischen Propaganda | Oktober 2022


Artikel Nr. 5, Oktober 2022

Von Olena Sadovnik

Die häufigsten Mythen der russischen Propaganda über die Ukraine

 

Russlands groß angelegter Krieg gegen die Ukraine wäre nicht möglich, wenn es keine vom Kreml kontrollierten Massenmedien gäbe, die nichts mit Journalismus zu tun haben und seit Jahrzehnten Propagandanarrative verbreiten. Als Wladimir Putin 1999 zum Präsidenten gewählt wurde, bildete er einen Pool treuer „Journalisten“ um sich herum. Und später in den 2000er Jahren startete Putin eine Kampagne zur Einschränkung der Meinungsfreiheit in Russland. Der prominenteste Fall war der Mord der Journalistin Anna Politkowskaja im Jahr 2006, die Putin und seinen Krieg in Tschetschenien öffentlich kritisiert hatte. Heute gibt es in Russland keine unabhängigen Medien mehr. Keine. Viele Journalisten haben das Land verlassen und haben Medienprojekte in den Nachbarländern begonnen. Die im Land verbliebenen Journalisten kopieren und wiederholen politische Mythen und rechtfertigen damit die militärische Aggression. Darüber hinaus strahlt der Sender Russia Today auf Englisch und in anderen Sprachen ein Programm für ausländische Zuschauer aus. In Deutschland hat die Regulierungsbehörde im Februar 2022 die Sendung auf Deutsch gesperrt. Wie lauten die drei gängigsten Mythen der russischen Propaganda über die Ukraine?

Mythos 1: Der Staat Ukraine existiert nicht.

Beim NATO-Gipfeltreffen in Bukarest 2008 äußerte Putin zum ersten Mal öffentlich seine Propagandathese, als er dem damaligen US-Präsidenten George Bush sagte: „Du verstehst doch, George, dass die Ukraine kein richtiger Staat ist! Was ist das – die Ukraine? Teile ihres Territoriums sind Osteuropa und das größte Territorium ist ein Geschenk von uns!“ Damit deutete er an, dass die Ukraine in der Einflusszone Russlands bleiben müsse, sonst drohe ihrer Staatlichkeit das Ende. Seit mehr als 250 Tagen beobachtet die Welt den heroischen Widerstand der Ukraine gegen Russland. Letzteres hat eine Fläche, die 28mal größer ist als das ukrainische Territorium, und besitzt Atomwaffen. Die Geschichte der ukrainischen Staatlichkeit hat jedoch viel tiefere Wurzeln als die Russlands. Die Hauptstadt der heutigen Ukraine, Kyjiw, war das Zentrum des mittelalterlichen Staates Kyjiwer Rus, wo die Geschichte der Ukraine ihren Ursprung hat. Wie aus der Collage unten ersichtlich ist, gab es auf dem Territorium des modernen Moskau ausschließlich Wälder, als Kyjiw bereits ein entwickeltes Religions- und Bildungszentrum war. Das hinderte aber die sowjetischen Historiker nicht daran, die Tatsachen zu verdrehen und die Geschichte der Kyjiwer Rus Moskau zuzuschreiben und der Ukraine die Rolle des „jüngeren Bruders“ zuzuteilen (Mythos Nr. 3).

Сollage: US-Botschaft Ukraine

 

Mythos 2: Die Krim war schon immer russisch

Die Halbinsel Krim war nur 136 Jahre lang Teil des russischen Reiches. Bevor Russland sie unter Zarin Katharina II. eroberte, wurde sie von den Ureinwohnern, den Krimtataren, bewohnt, die Muslime sind und mehr als 300 Jahre lang Teil des Osmanischen Reiches waren. Sowohl das russische Reich als auch die Sowjetunion verfolgten eine Politik der Diskriminierung und Zwangsvertreibung der Krimtataren. Die bekannteste ethnische Säuberung fand im Mai 1944 statt, als rund 430.000 Krimtataren auf Befehl Stalins innerhalb von vier Tagen nach Zentralasien deportiert wurden. Die Tataren nennen diesen Tag Sürgün, was auf Krimtatarisch „Völkermord“ bedeutet. Die Russen wurden anschließend dazu ermuntert, auf die Krim zu ziehen. So wurde sie im 20. Jahrhundert russischsprachig. Als 1991 die Krimtataren aus Zentralasien in ihre Heimat zurückkehrten, sprachen sie und die damaligen Bewohner der Halbinsel sich für eine autonome Krim als Bestandteil der Ukraine aus. Das russische Referendum von 2014 über die Rückkehr der Krim nach Russland gilt als gesetzwidrig. Es verstößt gegen die internationalen Statuten und das internationale Recht. Das Referendum wurde nach der Besetzung der Halbinsel durch das Militär rechtswidrig mit Waffengewalt durchgeführt.

Mythos 3: Die Ukraine und Russland sind „Brudervölker“

Das ist eine alte sowjetische Propaganda, die das bisherige Konzept des russischen Reiches mit einer Dreieinigkeit von Ukrainern, Weißrussen und Russen ersetzte. Die Idee der „Brudervölker“ stellt die Ukrainer als einen abhängigen „jüngeren Bruder“ dar, der auf den „älteren Bruder“ Russland nicht verzichten kann. Russland rechtfertigt auf diese Weise sein Recht, die Ukraine zu beeinflussen. Diese unverhohlen chauvinistische Haltung reicht Jahrhunderte zurück, von der Zarenzeit bis zum heutigen russisch-ukrainischen Krieg. Die Ukraine ist ein Land mit demokratischen Traditionen. Nach der mongolischen Invasion im 13. Jahrhundert trennten sich die historischen Schicksale der Gebiete der heutigen Ukraine und Russlands endgültig. Die ukrainischen Gebiete entwickelten sich in einem europäischen Kontext weiter. Demokratie, Selbstverwaltung und europäisches Recht, religiöse Toleranz und Schätzung des Privateigentums. Dies prägte die politische Kultur der Einwohner. Gleichzeitig hatten die Ordnung und Traditionen der Horde mit der Verherrlichung des Herrschers und der absoluten Gehorsamkeit ihm gegenüber, der absoluten Dominanz des Staates, dem Fehlen von Privateigentum und gemeindeeigenen Ordnungen einen entscheidenden Einfluss auf die politische Kultur des Fürstentums Moskau. Russland bezeichnet den gegenwärtigen totalen Krieg als „Spezialoperation“ zur „Befreiung eines Brudervolkes“, das unter dem aufdringlichen Einfluss des Westens leide. Das ist Propaganda. Die Ukraine ist ein europäisches Land. Die Orange-Revolution (2005) und die Revolution der Würde (2014) bestätigten die Entscheidung der Ukrainer für die Europäische Union und gegen das autoritäre Russland.

    Demnächst


    Clubabend
    23. April 2024

    Das Korrektiv: Investigativjournalismus und seine Bedeutung für die Demokratie

    weiterlesen
    Clubabend
    7. Mai 2024

    Vor der Europa-Wahl - Podiumsdiskussion mit Kandidierenden aus der Region

    weiterlesen

    »

    Wir freuen uns über unsere neuen korporativen Mitglieder:  SCHUFA Holding AG | Steuerberatung Stefanie Krönke | Balthasar Ress Weingut KG
    «


    Der Presseclub Wiesbaden